Nach Tag X in Leipzig: Polizei will beschlagnahmte Handys zurückgeben

Die ersten sogenannten Tag-X-Demonstranten sollen ihre beschlagnahmten Handys zurückerhalten. Das teilte die Staatsanwaltschaft Leipzig dem MDR mit. Insgesamt seien die Telefone von rund 380 Menschen beschlagnahmt worden. Vor acht Wochen hatte die Polizei in Leipzig am 3. Juni rund 1.000 Demonstrierende stundenlang eingekesselt, darunter auch Minderjährige.

Zuvor waren von Protestierenden Flaschen und Steine gegen Polizisten geworfen worden. Am sogenannten Tag X hatte die linke Szene in Leipzig gegen das Lina-E-Urteil demonstriert. Die Linksextremistin war wegen ihrer Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden.

Betroffener: Wurde unter Druck gesetzt

Ein betroffener Demonstrant schilderte auf Anfrage von MDR SACHSEN die Situation, in der sein Handy beschlagnahmt wurde. „Haben Sie ein Handy dabei?“, sei Leon Z. von einem Polizisten gefragt worden. Der junge Erwachsene, dem nach eigenen Aussagen schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen wird, sei am Tag X auf dem Alexis-Schumann-Platz für neun Stunden eingekesselt worden. Noch während er sich im Kessel befunden habe, habe ihn ein Polizist aufgefordert, sein Handy abzugeben und Passwort herauszugeben.

Daraufhin habe man ihn unter Druck gesetzt. „Wenn Sie uns nicht die Pin geben, werden Sie alle Kosten für die Entschlüsselung tragen. Es werden mehrere Hundert Euro auf sie zukommen“, soll der Polizist gesagt haben. Das Handy sei ein „Gewaltmittel“ habe die Polizei als Grund für die Beschlagnahmung angegeben. Auch von anderen Demonstrierenden seien die Telefone eingezogen worden. Leon Z. habe weder erfahren, was mit seinem Handy passiert, noch wann er es zurückbekommt. Aktuell warte er immer noch auf Rückgabe des Handys. Derzeit habe er ein Ersatztelefon.

Linke: Zweifel an Sinnhaftigkeit der Maßnahme

Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahme insgesamt hat der parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Sächsischen Landtag, Marco Böhme. Dass die Polizei mit Hilfe der beschlagnahmten Telefone mehr herausfindet, etwa ob es Absprachen der Demonstrierenden untereinander gab, könne sich Böhme nicht vorstellen. Die Gewalt der Demonstrierenden sei eine „spontane Überreaktion“ gewesen.


Matthias Monroy 01.08.2023

Polizei in Leipzig will Handys zurückgeben – 380 Geräte waren als »Gewaltmittel« beschlagnahmt

Am sogenannten »Tag X« am 3. Juni in Leipzig hat die Polizei rund 1000 Demonstrierende stundenlang eingekesselt. Auch Minderjährige waren von der Maßnahme betroffen. Anschließend wurden Handys und Speichermedien von insgesamt 380 Personen beschlagnahmt. Diese sollen nun zurückgegeben werden, teilte die Staatsanwaltschaft Leipzig dem sächsischen Sender MDR mit.

Mit der angekündigten und angemeldeten Demonstration sollte gegen das Urteil im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren gegen Lina E. und drei weitere Aktivisten protestiert werden. Die Polizei behinderte die Versammlung jedoch von Anfang an massiv, angeblich wegen einer Vermummung von Teilnehmenden.

Offenbar wurden die Eingekesselten von der Polizei auch eingeschüchtert. Der MDR berichtet über einen Demonstranten, der aufgefordert worden sei, das Passwort seines Handys herauszugeben. »Wenn Sie uns nicht die PIN geben, werden Sie alle Kosten für die Entschlüsselung tragen. Es werden mehrere Hundert Euro auf sie zukommen«, wird ein Polizist zitiert. Das wegen schweren Landfriedensbruchs einbehaltene Handy sei ein »Gewaltmittel«.

Die sächsische Linke-Abgeordnete Juliane Nagel kritisiert das Vorgehen nach dem »Tag X« und vermutet, dass die Handy-Beschlagnahme dem Ausspähen linker Strukturen dient. »Zumal die Ermittlungsverfahren wegen besonders schweren Landfriedensbruchs gegenüber 1040 Menschen eine Farce sind«, sagt Nagel zu »nd«. Das Erpressen von PIN-Codes hält sie für eine illegale Polizeipraxis.

Dass Beschuldigte oder Verdächtige für derartige Ermittlungshandlungen zahlen müssen, ist allerdings nach Paragraf 465 Strafprozessordnung theoretisch möglich, allerdings nur, wenn das Verfahren auch mit einer Verurteilung endet. Das bestätigt der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune dem »nd«. Jedoch werde dies zur Entschlüsselung von Handys nicht praktiziert. Werde das Verfahren eingestellt, trage die Staatskasse ohnehin alle Kosten. Die massenhafte Beschlagnahme von Handys aus einem Polizeikessel sieht Theune als bundesweit einzigartig. Bekannt sei dies allenfalls aus Razzien wie beim G20-Gipfel, nach denen 26 Computer und 35 Handys in die Hände der Behörden gelangten.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei in Leipzig in großem Umfang digitale Geräte einkassiert. Nach einer Spontandemonstration im Gedenken an den in Dresden ermordeten Asylbewerber Khaled Idris Bahray mussten Anfang 2015 rund 150 eingekesselte Personen ihre Handys, MP3-Player, Speicherkarten und Laptops sowie iPods abgeben. Bei einer forensischen Spurensicherung suchten Ermittler darauf nach Fotos, aufgrund derer mögliche Straftäter ausfindig gemacht werden sollten.

Mit mindestens 42 Personen sei »zur Zugangserlangung Rücksprache geführt« worden, hieß es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Juliane Nagel, 13 von ihnen hätten PIN-Codes freiwillig herausgegeben. Ein Viertel der Betroffenen habe zum Zeitpunkt der Antwort darauf verzichtetet, die Geräte nach einer Freigabe wieder abzuholen.


 
383 beschlagnahmte Handys nach Leipziger „Tag X“: Jetzt entscheiden die Gerichte
 
Zwei Monate liegen die Ausschreitungen zum linksautonomen „Tag X“ in Leipzig zurück. Noch immer werden viele der beschlagnahmten Handys von Demonstranten bei den Behörden verwahrt. Obwohl erste Geräte jetzt zurückgegeben wurden, sind noch strittige Fälle an Gerichten anhängig.
Nun wird es sogar ein Fall für die Gerichte: Zwei Monate nach den massiven Ausschreitungen beim linksautonomen „Tag X“ in Leipzig wird ein großer Teil der beschlagnahmten Handys von Versammlungsteilnehmern noch immer von den Behörden verwahrt. Einige Betroffene haben dagegen allerdings nun rechtliche Schritte eingeleitet. Zugleich seien die ersten Geräte an die Besitzer zurückgegeben worden, sofern die Datensicherung abgeschlossen worden ist, teilte die Staatsanwaltschaft auf Anfrage der LVZ mit.Als Reaktion auf das Urteil gegen die Leipziger Linksextremistin Lina E. (28) und deren Mitangeklagten hatte die linke Szene Anfang Juni in der Stadt zu Protesten mobilisiert. Nachdem aus einer Versammlung in der Südvorstadt Steine und Böller auf die Polizei geworfen wurden, umschlossen Beamte das Areal im Bereich des Heinrich-Schütz-Platzes. Mehr als 1000 Personen wurden einer Identitätsfeststellung und weiteren strafprozessualen Maßnahmen unterzogen.

Smartphones kommen als Beweismittel in Betracht

Dabei seien insgesamt 383 Smartphones als Beweismittel sichergestellt und beschlagnahmt worden, so ein Vertreter der Staatsanwaltschaft gegenüber der LVZ. „Dieses Vorgehen war vorab mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt worden, welche gegen alle von der Umschließung Betroffenen zuvor nach entsprechender Prüfung den Anfangsverdacht des schweren Landfriedensbruchs bejaht hatte“, so die Behörde. Weitere Mobiltelefone seien nach dem Polizeigroßeinsatz auf dem Gelände gefunden worden. Offenbar hatten deren Besitzer sie dort zurückgelassen.

Einkassiert wurden die Handys, weil die darauf gespeicherten Daten nach Auffassung der Anklagebehörde als Beweismittel in Betracht kommen. „Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung reicht es aus, dass aufgrund der zum Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung vorliegenden Erkenntnisse die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass der sichergestellte Gegenstand im Verfahren eine potenzielle Beweisbedeutung hat und zu Untersuchungszwecken verwendet werden kann“, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft.

Ermittlungsrichter bestätigt Vorgehen der Polizei

Allerdings legten mehrere Beschuldigte gegen die Beschlagnahme Widerspruch ein oder stellten einen Antrag auf eine gerichtliche Entscheidung. Die Staatsanwaltschaft habe in diesen Streitfällen die Akten dem zuständigen Ermittlungsrichter beim Amtsgericht vorgelegt. „Dieser bestätigte in allen bisher entschiedenen Fällen die vorangegangene Beschlagnahmeanordnung“, so der Behördenvertreter. „In einigen Verfahren wurde zwischenzeitlich gegen diese Entscheidungen des Amtsgerichts Beschwerde eingelegt. Eine Entscheidung des Landgerichts als zuständiger Beschwerdeinstanz liegt noch nicht vor.“

Im Zusammenhang mit dem „Tag X“ waren zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen bekannte und unbekannte Tatverdächtige eingeleitet worden, unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Weil mindestens ein Molotowcocktail unmittelbar neben Beamten einschlug, ermittelt die Staatsanwaltschaft auch wegen versuchten Mordes. Rund 30 Festnahmen gab es beim „Tag X“. Insgesamt zehn Tatverdächtige waren damals nach Krawallen am Freitag und Sonnabend in Untersuchungshaft gekommen. Die Haftbefehle wurden aber allesamt nach wenigen Tagen außer Vollzug gesetzt.

Mehr als 50 Einsatzkräfte und eine unbekannte Zahl an Demonstranten waren am ersten Juni-Wochenende verletzt worden. Der Sachschaden für die Kommune wird auf mehr als eine Viertelmillion Euro beziffert.